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internetklasse marlene streeruwitz
BILD.SCHIRM.TEXT / klassische fragen der bildbeschreibung im fluten des mediums

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Idylle, abends I


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kurt tutschek
05.05.1999
15.09.99
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text: Idylle, abends I

Ein Mann sitzt am Tisch und ich nenne ihn Vater.
Er hält den linken Arm abgewinkelt und die Hand wie zur Faust geballt. Er sieht mich nicht an. Niemals sieht er mich an. Für ihn habe ich keinen Namen. Er nennt mich 'das Kind'. "Das Kind muss essen", sagt er und schlägt mit der Faust auf den Tisch. Mutter kommt und schiebt mir einen dampfenden Teller mit Grießbrei vor die Nase. Der Tisch ist zu hoch für mich, viel zu hoch. Widerwillig nehme ich den Löffel und beginne im Brei zu stochern. Meine Füße baumeln unter der Tischplatte hin und her. Ich friere. Hausschuhe besitze ich nicht.
Der Mann, den ich Vater nenne, spricht zu meiner Mutter. Sie trägt ein Halstuch und das hübsche Sonntagskleid, das sie immer für den Messgang bereitlegt. Kurz bevor der Mann nach Hause kommt, schlüpft sie aus dem Alltagsgewand. Sie legt das weiche, graue Kleid ab, auch die bequemen Pantoffel. Er verlangt das. Er fordert. Er duldet keinen Widerspruch. "Meine Frau hat herausgeputzt zu sein, herausgeputzt." Er liebt das Wort 'herausgeputzt'. Ich hasse es.
Mutter weint jeden Tag, ich kann es sehen, wenn sie die Tränen von den Wangen wischt. Sie putzt die Holzdielen blank, hängt die Bilder an der Wand gerade und singt meine Schwester in den Schlaf. Meine Schwester ist noch klein. Sie schläft in der Wiege. Der Mann, den ich Vater nenne, sieht sie niemals an. Er sieht auch mich niemals an. Er nimmt uns einfach nicht wahr. Als wären wir unverzeihliche Irrtümer oder kurzfristig anwesende Hausgäste, die man rasch loswerden möchte und noch rascher wieder vergisst.
Der Hund ist ihm wichtig. Er füttert ihn mit dicken Fettstreifen, die er vom Fleisch auf seinem Teller schneidet. "Fang", ruft er dem Hund zu, wirft die Fettschwarte hoch in die Luft, der Hund schnappt zu, zieht sich mit seiner Beute zufrieden in eine Ecke des Zimmers zurück.
Der Mann lacht. Er trinkt Bier aus einem riesigen irdenen Krug. Weißlich glänzt Schaum am Oberlippenbart als er den Krug absetzt.
Mein Brei ist kalt geworden. Mein Mund ist gefüllt, immer mehr schleimiger Grieß breitet sich aus, ich ertaste die harten Klümpchen, die sich nicht in der Milch gelöst haben, mit der Zunge.
Ich weiß nicht, ob ich schlucken kann. Aber ich muss. Er beobachtet mich. Ich weiß es. Ich schließe die Augen und schlucke den Brei.
Der Mann, den ich Vater nenne, steht auf und tritt ans Fenster. Er zieht die Vorhänge zu. Mutter steht unschlüssig am Tisch und lächelt zaghaft.
Ich muss jetzt zu Bett. Ich weiß es. Gleich wird er sagen "das Kind muss schlafen". Das wird er sagen. Und es ist gut.
bildmotiv streeruwitz
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kommentar:


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schön die dezidierte wahl der autorenposition. die stimmungs-
geschichte ist daraus gut entwickelt. braucht es sätze wie
"als wären wir unverzeihliche irrtümer...". diese erläuterungen schwächen die klare erzählhaltung durch ab-
schweifen in erwachsenenhaltungen.

 

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