internetklasse marlene streeruwitz BILD.SCHIRM.TEXT / klassische fragen der bildbeschreibung im fluten des mediums
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Niemand kann dich hören - du wirst sterben - in dieser abartig langweiligen Welt
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Bernhard Schubert
21.09.1999
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Das denke ich, als ich mir die „Bauernstube“ ansehe. Mein Körper fängt an, sich zu verkrampfen. Ein plötzliches Ohnmachtsgefühl, Klaustrophobie und Agoraphobie zugleich befallen mich. Mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich möchte aufschreien, bringe aber keinen Ton hervor. Vor mir – eine heile Welt, wie sie heute nicht sein kann(Oder: Wie sie nie sein hat können, sein kann oder können wird.), in schrecklichen, abstoßenden, grausamen Farben. Ich kann diesen Anblick kaum ertragen – dieses goldene, schmierige, honigfarbene Licht, diese grausigen Farben, diese schrecklichen, sinnlosen Tätigkeiten, die die Personen ausführen, die Personen selbst – diese ganze Welt, die in dem Bild steckt: Abstoßend, scheußlich und unsagbar grausam. Derjenige, der dieses Bild gemalt hat, muss ein Psychopath gewesen sein, denn ich kann mir niemanden sonst vorstellen, der auch nur annähernd fähig wäre, etwas derartig psychisch brutales zu Papier zu bringen. Wir wollen nun näher auf das Bild eingehen, seinen Inhalt beschreiben. Offensichtlich eine Mittagsszene... Die brave Bäuerin, die links im Bild mit obligatorischem Dirndl zu sehen ist, serviert dem braven Bauern, ihrem Gemahl, in auffälligem rotem Wams mit schwarzer Mütze, und ihrem braven Kind offensichtlich einen nahrhaften, suppenähnlichen Brei. Links im Bild steht eine Wiege, in der ein braves Baby schläft oder über den Sinn des Lebens sinniert. Auf dem Boden liegt eine achtlos hingeworfene Puppe. Die Stube ist gemütlich eingerichtet, ein rosarotes Sofa steht im Hintergrund, und diverse Bilder dekorieren die Rückwand. Durch ein Fenster, rechts im Bild, kann man in die Außenwelt blicken. Güldenes Mittagssonnenlicht erhellt die gutbürgerliche Stube. Ist das real? Alle lebenden(lebenden???) Personen – ihr Leben verläuft in vorprogrammierten Bahnen, ihre Intelligenz und Lebensstandard bleiben immer auf dem gleichen niedrigen Niveau – die Gemütlichkeit des Raumes umfließt mich wie dicker, süßer, ekelhafter, warmer Sirup. Ich versuche mich zu bewegen – es ist mir nicht mehr möglich. Die Akteure – lebende Tote, Zombies, bewegliche Puppen, ihres Aussehens nach: Sie haben keinen Spaß, ihr Leben besteht daraus, etwas zu tun, etwas schrecklich langatmiges, tödlich langweiliges, durch das man leicht die Lust zu leben verlieren kann – doch ihnen kann das egal sein, sie sind schon längst tot.
Imaginärer Teil (Filmmäßige Resthandlung), Ende der Bildbeschreibung
Sie sehen sich durch ihre weißgelben, verfaulenden, ausdruckslosen Augen an. Ihr Leben verläuft in vorberechneten Bahnen, so als ob ihr Leben ein Video wäre, das abgespielt wird. Was in den Suppentellern und in der Schüssel ist, wage ich mir kaum vorzustellen. Die Toten können mich nicht sehen(Womit sollten sie auch?) – oder doch: Es scheint, als blicke mich der Bauer an, mit hungrigen, sehnsüchtigen Augen. Es wird nur Sekunden dauern, bis mich Bäuerin, Kind und Baby ebenfalls sehen und zielstrebig, mit ausgestreckten Armen, wie Frankensteins Monster auf mich zuwanken, um mich meines Lebens zu berauben, mich zu einem Gefangenen des Bildes zu machen – wie die achtlos hingeworfene Puppe auf dem Boden, die mich flehend durch ihre aufgenähten Knopfaugen ansieht – in ihr steckt womöglich der Geist, die Seele eines Lebewesens wie mir, das dieses Bild betrachtet hat und von ihm gefangen, absorbiert wurde. Vielleicht ist der Inhalt der Suppenteller sein Leben, sein Gehirn, seine Seele, die langsam, aber sicher von den Zombies verspeist wird, in ihrem grausigen Mahl.
Imaginärer Teil (Filmmäßige Resthandlung), Ende der Bildbeschreibung
Wenn ich nichts unternehme töten mich diese Zombies, sie absorbieren mich wie die Puppe, sie essen mein Leben auf – ich muss etwas tun, sonst sterbe ich! In diesem klebrigen, warmen, ekligen Sirup, in dem ich mich scheinbar befinde, als ich das Bild betrachte, kann ich mich kaum bewegen, also unmöglich weglaufen. Ich kann genausowenig schreien, denn es würde mich niemand hören, selbst wenn mein Körper in der Realität ebenfalls schreien würde. Also ziehe ich mit tödlicher Langsamkeit einen imaginären Granatwerfer aus meinem imaginären Rucksack. Das ist alles, was ich noch tun kann, meine letzte Chance. Die Zombies beginnen, mit übermenschlicher Geschwindigkeit auf mich zuzuwanken, trotz des Sirups, der ihnen nichts auszumachen scheint. Wie durch ein Wunder kann ich meinen nur in meiner Vorstellung existierenden Granatwerfer ziehen und feuere ihn ab, wieder und wieder, bis mir der Kopf von dem KRAWUMM! der Explosionen dröhnt und von der Bauernstube, inklusive der Zombies, ja von dem ganzen Bauernhaus nicht mehr übrig ist als eine rauchende Müllkippe... Ich weiß, dass ich die Seele, die in der Puppe gefangen war, erlöst und das grausige Bild vernichtet habe. Von nun an werden keine Menschen mehr ihrer Intelligenz und Lebenskraft beraubt werden, sollten sie dieses grausame Bild betrachten. ICH HABE ES VERNICHTET! Plötzlich verschwimmt das Bild vor meinen Augen...
Ich erwache. Als ich das Bild der Bauernstube vor mir sehe, schreie ich in Panik auf, denn ich habe durch dieses Bild, das eigentlich ein Kinderbuch illustrieren sollte, das Grauen gesehen. Ich zerfetze den kopierten Zettel, auf dem es zu sehen ist, lege mich in mein Bett und beginne vor Schock zu weinen...