virtuelle akademie 2000... klasse andrea fehringer ... material ...

andrea fehringer, gerald reischl und clemens stadlbauer: die grössten pechvögel des jahrhundert. mit ihren ideen wurden andere reich. verlag ueberreuter. wien. 1999. s. 33-43


wenn nur das pech klebt

"was will er?" der tischler sah zuerst den fremden an, dann seinen kollegen. irgendwas stimmte mit beiden nicht.
"er fragt uns, was mit seinem schmirgelpapier nicht stimmt", erklärte der kollege, als brauchte der fremde einen übersetzer.
"was geht uns sein schmirgelpapier an?" wollte der tischler wissen.
"keine ahnung", gab sein kollege zurück. so wie sich die beiden handwerker miteinander unterhielten, schien es, als wäre der fremde, der da keinen meter vor ihnen stand, gar nicht vorhanden. aber william l. mcknight war nicht sehr empfindlich. tischler in einer möbelfabrik in rockford, illinois, waren menschen, wie er sie mochte. bodenständig, direkt, ohne jedes getue. sie wußten nicht, was ein 24jähriger verkaufsleiter irgendeiner manufactoring company von ihnen wollte, und das sagten sie auch so. also wiederholte william sein anliegen.
das schmirgelpapier, das seine firma als einziges produkt herstellte, war ein reichlich mittelmäßiges schmirgelpapier. da im eigenen haus niemand wußte, warum es so bescheiden schmirgelte, hatte sich mcknight entschlossen, jemanden zu fragen, der es wissen mußte. jemand, der damit arbeitete. wie diese tischler aus rockford.
das ergebnis von williams ausführungen war nicht nennenswert erfolgreicher, als vorher. "was will er?" erkundigte sich der tischler erneut.
es war genauso wie williams mitarbeiter, vorgesetzte wie untergebene, vorausgesagt hatten, die dieser idee eines eifrigen, den direkten kontakt zu den verbrauchern zu suchen, wenig abgewinnen konnten. aber der frisch in die führungsebene des unternehmens beförderte, nun für den gesamten us-bereich zuständige mcknight war kein mann, den man leicht von etwas, an das er glaubte, abbringen konnte. wollte man ein produkt verkaufen, mußte man es nach den bedürfnissen der kunden ausrichten. niemand gab 1914 geld für etwas aus, das nichts taugte. und das schmirgelpapier taugte nun echt nicht rasend viel.
allerdings sah es momentan verdammt danach aus, als würde es auch nach williams reise nicht mehr taugen. die antworten, die er sich erhofft hatte, waren offenbar nicht so ohne weiteres zu bekommen. william wollte schon zu einer weiteren erklärung seines besuches ansetzen, da änderte er seine taktik. plötzlich bückte er sich, kramte in seiner aktentasche und zog ein stück seines schmirgelpapiers heraus. "hier, probieren sie das bitte aus, und sagen sie mir, was sie davon halten."


"hier, probieren sie das bitte aus, und sagen sie mir, was sie davon halten", sagte spencer silver und hielt dem verblüfften mann in mittleren jahren eine milchige masse in einem glaszylinder hin, die an sonstwas erinnerte, nur nicht an das, wofür silver es hielt: klebstoff. die verwunderung des angesprochenen abteilungsleiters rührte aber nicht von der ekeligen masse her, sie wurde von der tatsache genährt, daß der wunderliche chemiker damit nun schon zum dritten mal vor ihm stand. der mann hatte etwas erstaunlich hartnäckiges an sich.
spence nützte die stumme phase seines gegenübers und holte zu einer erklärung aus, die der abteilungsleiter sich nun also zum dritten mal anhörte. im selben wortlaut, wie er gleich nach den ersten paar sätzen nun schon bewundernd feststellte.
"… arbeitete ich im rahmen unseres programms ,klebstoffe auf polymerbasis’, sie werden davon gehört haben … " und wie oft schon, dachte der abteilungsleiter, nickte aber dazu durchaus ermunternd. spence war in der ganzen firma als ausgesprochener sonnenschein bekannt. er gehörte zu den menschen, deren laune so gut ist, daß man sie mitunter kaum aushält. dennoch brachte man es schwer übers herz, ihn mit desinteresse vor den kopf zu stoßen.
"… fiel mir schließlich die archer-daniels-midland incororation auf, die eine neue monomerfamilie entwickelt hatten, die mein interesse erregte …" solche firmen gehören verboten, dachte der abteilungsleiter hinter der fassade seines lächelns.
"… und die eignete sich meiner bescheidenen meinung nach bestens für meine forschungszwecke. ich ließ mir also ein paar proben schicken …" warum läßt er die langweiligen stellen nicht aus?
"… wollte sehen, was passiert, wenn ich der reaktionsmischung nicht die vorgegebenen mengen, sondern einen sehr großen anteil dieser monomere beigebe. fragen sie mich nicht, warum ich das unbedingt wissen wollte … " keine angst, dachte der abteilungsleiter.
"… mir ist schon bewußt, daß da unter umständen mein kindlicher spieltrieb …" aber nur unter umständen. der abteilungsleiter schloß einen moment die augen. andernfalls wären sie ihm von allein zugefallen.
"… hätte ich mich mehr mit der fachliteratur beschäftigt, hätte ich das experiment nie durchgeführt …" wie schade. "… dort wimmelt es nur so von beispielen, aus denen hervorgeht, daß man so was nicht tun darf. aber mich befriedigt es außerordentlich, die struktur der stoffe etwas durcheinanderzubringen …" spence lächte entschuldigend, der abteilungsleiter sehr müde.
"… durfte ich mitansehen, daß die provizierte reaktion jeder theoretischen voraussage widersprach. ich nenne es immer meinen heureka-effekt, wissen sie. das scheint mir so passend, weil man doch als wissenschaftler äußerst selten zeuge eines naturwissenschaftlichen phänomens wird … " ich werde eben zeuge eines menschlichen phänomens, dachte der abteilungsleiter und schwieg weiter. spence war gerade so schön in fahrt.
"… ich darf ihnen das einmal vorführen." als präsentiere er ein nie dagewesenes zauberkunststück, preßte spence den kolben seines glaszylinders, den er fast ständig mit sich herumschleppte, nach unten und damit die milchige masse zusammen, die unter diesem druck plötzlich eine kristallklare konstitution annahm. spence sah den abteilungsleiter triumphierend an, als erwarte er applaus. aber auch die eingetretene stille hinderte ihn nicht daran, fortzufahren.
"… technisch gesehen, war das neue material genau das, was das forschungsprogramm forderte, eine neues polymer mit klebeeigenschaften …" die kann man auch dem erfinder nicht absprechen, dachte der abteilungsleiter.
"… der hafteffekt bindet die oberflächen, auf denen der klebstoff aufgetragen wurde, aber er bindet sie nicht fest. um das einmal einfach zu erklären: die masse klammert sich mehr an die eigenen moleküle fest als an fremde. als ich das material auf eine fläche sprühte – ja, ja, sie haben richtig gehört, es läßt sich auch sprühen –, und man anschließend ein stück papier auf die besprühte fläche klatscht, läßt sich das papier entweder mit dem gesamten klebstoff oder aber mit gar keinem klebstoff wieder ablösen. interessant nicht?" selten was interessanteres gehört, wollte der abteilungsleiter beipflichten, ließ es aber dann doch sein.
"ich will sie nicht langweilen …" aber wo. "… natürlich ist mir bewußt, daß eine firma wie unsere mehr nach dem besten als dem schlechtesten klebstoff sucht …" ach, was? "… und meine aufgabe ist es eigentlich, so eine art superkleber zu entwickeln …" wie peinlich. "… nur für irgendwas muß dieses material doch gut sein."
die frage beschäftigte bald das ganze haus. und das die nächsten fünf jahre. der abteilungsleiter in den mittleren jahren war keineswegs der einzige, der sich spencer silvers schilderung der geburt "seines babys", wie er den klebstoff liebevoll nannte, anhören mußte. von 1968 bis 1973 wanderte spence wie der prediger einer neuen, aber wenig einleuchtenden religion durch sämtliche etagen des unternehmen. seine unwiderstehlich fröhliche art öffnete ihm sogar tür und tor zu den internen fachseminaren, wo er die eigenwilligen fähigkeiten seines babys gleich vor vielen zuhörern loswerden durfte. zumindest anfangs, im laufe der zeit verließ eine erkleckliche anzahl der teilnehmer den saal schon vor seinem vortrag. und antworten bekam er auch hier keine.
daß spence seine betteltour ganze fünf jahre über so akribisch weiterführen konnte, lag an der philosophie des hauses, wonach jedem mitarbeiter 15 prozent ihrer arbeitszeit für die forschung an eigenen projekten zur verfügung stehen. man war überzeugt, daß dieses sogenannte "bootlegging" dem unternehmen nur nützen konnte, schließlich arbeitet jeder lieber an etwas, das ihm am herzen liegt, als an dem, wozu er ohnehin verpflichtet ist.
besonders sympathisch war den mitarbeitern dabei, daß niemand diese 15 prozent kontrollierte. was zum großteil mit der geographischen lage des unternehmens zu tun hat. die firma war seit 1910 in st. paul angesiedelt, einem städtchen mitten im landwirtschaftlichen pionierbereich im tiefsten amerikanischen mittelwesten. die ansässige bevölkerung, aus der sich auch ein großteil des unternehmensstabs rekrutierte, nahm das leben seit hundert jahren, wie es war. und war am laktationszyklus der guernsey-kuh weit mehr interessiert als am dow jones index. hier war die welt noch in ordnung. wer nicht auf einer farm arbeitete, arbeitete zumindest wie auf einer farm. er erledigte sein tagwerk und dann setzte er sich zum nachtmahl hin. hätte er sein tagwerk nicht erledigt, säße er auch nicht beim nachtmahl. so einfach war das. und deshalb brauchte man auch in der firma niemanden zu kontrollieren.
spence silvers patent, für das man schließlich auf die vereinigten staaten begrenzt gerade das notwendigste ausgab, statt, wie silver in seinen aufmüpfigsten momenten anmerkte, "noch 10.000 dollar mehr zu investieren", hätte eine kontrolle vermutlich nicht überstanden. nicht, daß er seinen eigentlichen job vernachlässigte, aber mit 15 prozent arbeitszeit an seinem baby wäre er nicht ausgekommen. daß ihm nach fünf jahren hausieren mit seinem kuriosen anti-klebstoff die aufmerksamkeit der kollegen systematisch entglitt, lag aber vorwiegend an der sache mit dem anschlagebrett.
im zuge seiner einsamen suche nach einem verwendungszweck des milchigen etwas kam silver auf die idee, die oberfläche eines "schwarzen bretts" damit zu bestreichen und überredete irgendeinen abteilungsleiter, obwohl nicht einmal ihm selbst diese möglichkeit allzu attraktiv erschien, zur test-produktion. die über groß- und einzelhandel vertriebene marktneuheit verkaufte sich entsprechend schleppend. die schwachstelle des produkts war mehr als ersichtlich: die auf dem anschlagebrett angebrachten nachrichten hafteten zwar, aber dieser, für ein "schwarzes brett" doch recht unabdingbare vorteil half nicht darüber hinweg, daß die ganze tafel bis in seine ecken klebrig und daher wenig benutzerfreundlich war. das produkt verschwand ohne aufsehen von der bildfläche.
spencer silver nicht. anfang der 70er jahre innerhalb des zentralen forschungslabors zur gruppe systemforschung versetzt, machte er die bekanntschaft eines gewissen robert oliveira. der freundschaft der beiden stand nichts mehr im wege, nachdem sich der biochemiker hals über kopf in spencers baby verliebte. ab nun absolvierte spence seine werbetour durchs haus in begleitung. als erstes zum neuen leiter eines der sogenannten venture-teams im labor des unternehmensbereiches commercial tape, deren aufgabe die produktneuentwicklung war.
goeff nicholson war motiviert, dynamisch und hungrig. als er den bereich commercial tape übernahm, hatte sein vorgänger bereits zum zweiten mal die vom unternehmen vorgegebene zielsetzung verfehlt. was der neue nun dringend brauchte, war ein vielversprechendes produkt. und das erschien gleich am ersten arbeitstag in der neuen abteilung zusammen mit spencer silver und robert oliveira. entscheidend für seinen entschluß, sich für den obskuren klebstoff zu begeistern, war die tatsache, daß er nicht einmal hälfte der ausführungen des erfinders verstand. er wußte nur eins: dieses ding war absolut einmalig. und, wie er es später immer wieder ausdrückte: "ich wollte die ernte einfahren."
nicholsons enthusiasmus war erfrischend, konstruktiv war er nicht. nach wie vor hatte man in spencers klebstoff eine existierende lösung, das passende problem hatte man nicht.


"scheiße", sagte arthur fry.
seine nachbarn links und rechts sahen ihn an, als stünde der teufel vor ihnen. presbyterianer sind an sich gottesfürchtige menschen, gar nicht zu reden von denen, die im chor der kirchengemeinde mitsingen. wenn einer dort scheiße sagt, hat er entweder den verstand verloren oder das ewige leben. und keins von beiden wünschte man art fry.
art kümmerte sich nicht um die besorgnis seiner mitsänger in der kirche st. paul-nord. angewidert verfolgte sein blick das elfenbeinfarbene zettelchen, das in anmutigen zickzacks vom chorgestühl flatterte. ihm war nicht einmal recht bewußt, daß ihm das sch-wort herausgerutscht war, normalerweise befleißigte er sich eines weit gehobeneren sprachniveaus. aber diesmal hatte es ihm endgültig gereicht. es war nicht das erste elfenbeinfarbene zettelchen, das ihm vom chorgestühl segelte.
seit jahren ärgerte er sich über das unzuverlässige system, mit dem er die ausgewählten lieder im gesangsbuch zu markieren gezwungen war. daß eins der eingelegten lesezeichen sich beim blättern selbständig machte, kam wie das amen im gebet. andere rutschten ihm dafür zwischen die seiten. weder das eine noch das andere diente dabei dem eigentlichen zweck. und das war
fraglos scheiße.
doch plötzlich war, wie fry es später hunderte male erzählte, "die presbyterianische kirche von einem augenblick heißer vorfreude durchweht". denn art hatte die lösung zu seinem problem. und damit das problem zu spencer silvers lösung.


die beiden männer kannten sich schon lange von der firma, in der sie beide arbeiteten. neuerdings so gut wie im selben venture-team. goeff nicholsons team. wo spencers baby endlich seinen mentor gefunden hatte. und wo art nicht umhin konnte, einer der vorführungen des klebstoff-wunders beizuwohnen. er fand die erfindung etwas deprimierend. ein phänomen, mit dem keiner was anfangen konnte, war seiner ansicht nach ein vorwiegend sinnloses phänomen. bis jetzt.
spencer und art klebten ab nun zusammen wie des einen klebstoff und des anderen erleuchtung mitten in der presbyterianer-kirche. irgendwie waren alle vier nicht mehr voneinander zu trennen. wenn auch vorerst noch niemand wußte, was genau sie zusammenhielt. licht ins dunkel brachte ausgerechnet wieder die sache mit dem "schwarzen brett". dort war der klebstoff auf einem "positiven substrat", nämlich der oberfläche der tafel aufgetragen worden. und dort blieb er auch. auf papier aufgetragen, löste er sich in der sekunde, in der er mit irgendeiner anderen fläche in berührung kam und blieb dann auf der picken.
art fry konstatierte die notwendigkeit, daß der kleber auf nichts als papier haften mußte, sonst konnte man ihn sich sonstwohin schmieren. er brauchte kein gesangsbuch, das klebte, er brauchte zettel, die im gesangsbuch kleben blieben und sich ebenso leicht wieder ablösen ließen. da aber, wie sämtliche tests bewiesen hatten, absolut unvorhersehbar war, auf welcher unterlage sich das material zu haften entschloß, wußte keiner, wie das papier dieser zettel beschaffen sein mußte. besser gesagt, dessen beschichtung.
die rettung trat in gestalt von henry courtney und roger merrill auf. beide im nicholson-team beschäftigt, war ihnen durchaus bewußt, welche verantwortung auf ihnen lastete und zeigten sich ihr gewachsen. sie schafften es, das störrige material dazu zu bewegen, dort haften zu bleiben, wo man es aufgetragen hatte. am papier. daß so ein blatt nicht zur gänze beschmiert wurde, sondern – worauf man ohne gesangsbuch all die jahre nicht gekommen war –, bloß auf einem streifen am rand ist dem lieben gott zu danken und seinem frommen sänger art fry.
das silver-baby hatte sich zum wunderkind gemausert. spence hatte sein problem, art fry eine lösung für sein dilemma am chorgestühl, henry courtney und roger merrill hatten wieder zeit für die wichtigen dinge des lebens, und goeff nicholson stand vor seiner ernte. seiner uneingebrachten. denn außer dem vater, der es gezeugt hatte, und den vier ziehvätern, die es zum laufen brachten, wurde der jüngste nachwuchs im größten unternehmen von st. paul immer noch von niemandem geliebt. mit derselben gewißheit, die manche eltern dazu zwingt, ihre kinder im säuglingsalter für yale oder harvard anzumelden, machte sich die engste familie des klebrigen sprößlings daran, ihm seine verheißungsvolle zukunft zu ebnen.
mit der herstellung der haftzettel schien das projekt seinem wohl hundertsten tod geweiht. man durfte nicht in rollen, man mußte in bögen produzieren. und die mußten danach noch in alle möglichen größen zerschnitten werden. einmal ganz abgesehen vom streifenförmigen auftragen des klebstoffs. die ingenieure der nicholson-truppe waren mehr als sauer.
daß eine firma, die gar nicht so schlecht an klebebändern verdiente, sich selbst konkurrenz machte, indem sie selbsthaftende zettelchen erzeugte, die klebebänder zum teil unnötig machten, ging sie ja wenig an. daß sie aber dafür noch zwei völlig neue maschinen zu konstruieren und zu bauen hatten, machte sie einigermaßen unrund.
als art fry von der halsstarrigkeit der kollegen vom technischen stab hörte, bekam der sonst so gütige optimist einen seiner seltenen, aber umso berüchtigteren anfälle. mit diesem zorn verzog er sich in seinen eigenen keller und bastelte die maschine selber. als sie, was kein ingenieur für möglich gehalten hatte, tatsächlich funktionstauglich war, bekam art gleich noch einen anfall. das ding paßte nicht mehr durch die kellertür. beherzt schlug er ein loch in die wand, beförderte das gerät in die firma, stellte die pilotanlage im labor auf und produzierte die ersten probe-artikel. goeff nicholson, unterdessen auch nicht faul, machte sich derweil an die vermarktung des produktes. zuerst bestückte er sämtliche sekretariate im haus mit den prototypen. "es ist, als gebe man den leuten marihuana", erzählte er überall herum, "wer die dinger einmal benutzt hat, wird süchtig".
was nach maßloser übertreibung klingt, war schlicht die wahrheit. in einer welt, in der die nachrichten immer schneller übermittelt wurden, und in der es bislang kein einziges selbsthaftendes, nicht die geringsten kleberückstände zurücklassendes schmierpapier gab, gab es auch nichts, worauf man einander verlässlich kleine notizen hinterlassen konnte. wer schreibt schon dem kollegen vom schreibtisch nebenan einen eingeschriebenen brief, der noch dazu kaum innerhalb von minuten ausgeliefert würde? und wie kommt der ehemann zu einer nachricht seiner ehefrau, die ihm nur mitteilen möchte, daß das abendessen im kühlschrank steht, während sie schon auf dem weg zur besten freundin ist? lose zettel werden vom winde verweht, art frys haftzettel werden von spencer silvers klebstoff dort festgehalten, wo man sie hinpickt.
die einzigen, die diese revolution nicht und nicht kapieren wollten, waren die ignoranten von der hauseigenen marketingabteilung. schmierpapier für einen dollar war nepp in ihren augen. selbsthaftend hin oder her. nachhaltig genervt von silvers jahrelangen präsentations-touren brauchten sie bloß von dem neuen produkt zu hören und wurden schon taub. reichlich halbherzig erstellten sie broschüren und verpackten probepäckchen, schickten aber das eine ohne das andere weg. wer die broschüre bekam, konnte sich wenig unter der angepriesenen marktneuheit vorstellen, wer die marktneuheit erhielt, drehte und wendete sie einmal und warf sie dann ungeöffnet in den mistkübel.
das ergebnis: kein mensch interessierte sich außerhalb des hauses für den bürobedarf, der innerhalb wie marihuana wirkte. der kommentar der marketingleute: was man erst erklären muß, läßt sich nicht verkaufen. und was man so schwer erklären kann, wie das da, schon gar nicht.
also schnappte sich geoff nicholson einen gewissen joe ramey, der sich, obwohl als verkaufsdirektor von commercial tape nicholsons vorgesetzter, nicht gegen den dynamiker wehren konnte. und obwohl erste testverkäufe auf den märkten tulsa, denver, richmond und tampa dank der marketing-schlamperei mit einer bauchlandung geendet hatten, fuhr er mit ihm auf eine an sich unter beider würde liegende vertreterreise nach richmond. hunderte mögliche käufer in den büros von banken bis versicherungen, von großbetrieben bis ein-mann-läden bat nicholson dort: "probieren sie das bitte aus, und sagen sie mir, was sie davon halten."
zurück kam ramey als bekehrter haftzettel-jünger. die kaufabsicht der potentiellen kunden, die normalerweise mit 50 prozent schon sensationell war, lag hier bei unglaublichen 90 prozent. ramey raffte eine vertriebsmannschaft zusammen, gegen die selbst das größte heer der zeitungskolporteure ein müder haufen war, und schickte sie nach boise, der hauptstadt des bundesstaates idaho. die verkäufer kamen nicht nur leergekauft zurück, die zweitbestellungen beliefen sich erneut auf erhebende 90 prozent.
das marihuana aus gelben zusammenklebenden papierquadraten, das sich vom schreibtischunterlagen bis zum kühlschrank überall ankleben, wieder ablösen, woanders ankleben, oder in gesangsbücher einlegen ließ, verkaufte sich nicht nur, es wurde von allen 50.000 produkten des unternehmens zum erfolgreichsten in der geschichte des konzerns.
1985, fünf jahre nach der lancierung des artikels, macht die minnesota mining & manufacturing company, kurz 3m genannt, weltweit jährlich 45 millionen dollar umsatz allein mit spencer silvers baby, das mittlerweile den namen post-it trug. die steigerungsrate des millionen-geschäfts liegt bei 85 prozent. wer gänzlich leer dabei ausging, waren die erfinder.


henry courtney und roger merrill, die die papierbeschichtung austüftelten, von der silvers baby nicht mehr wegzubringen war, reichte man anerkennend die hand. spencer silver, der mann, der statt einem superkleber den schlechtesten klebstoff aller zeiten zustande gebracht hatte, arbeitete auch nach 1980, dem beginn des siegeszug der post-it-blöcke, und vielen freundlichen worten noch in einer engen, fensterlosen ecke eines großraumlabors im keller des 3m-gebäudes und blieb dort, was er immer war: ein gutgelaunter mitarbeiter, der sparsam mit geräten und chemikalien umging und weder verlangte, daß sein büro neu gestrichen werden sollte, noch jemals einen vorgesetzten beim revers beuteln würde.
daß silver geradezu erleichtert war über die geringe bedeutung, die man ihm in der post-it-geschichte zugestand, lag zum einen an seinem fröhlichen gemüt zum anderen an den zweifelhaften ehren, die man arthur fry zukommen ließ. weil journalisten und wirtschaftsanalytiker ihn zum champion der haftzettel erhoben, sah ihn auch das unternehmen als eigentlichen schöpfer der gelben zettel an und setzte ihn zur belohnung in ein hierarchisch höherstehendes, aber so einsames wie unkreatives eckbüro für manager. einen goldenen käfig.
während silver sich in seinem großraumeckchen weiterhin mit der wissenschaft herumspielte und jedem, der es mittlerweile sogar von selber wissen wollte, seinen glaszylinder mit der ursprünglichen milchigen post-it-masse vorführte, hielt fry als eine art unternehmenssprecher vorträge über die vorzüge einer firmenphilosophie, die so tolerant gegenüber aussichtslosen lieblingsprojekten ihre mitarbeiter war, daß selbst aus flops noch renner wurden. gern erzählte er auch von gewinnbringenden mißgeschicken wie dem der 3m-forscherin patsy sherman, der ein röhrchen völlig nutzlosen fluorkohlenwasserstoffs auf die schuhe fiel, aus dem ihr kollege sam smith dann einen fleckenschutz machte.
wer von den nunmehr 70.000 3m-mitarbeitern lange genug bei der firma war, schwört, daß art diese reden nie und nimmer selber geschrieben hat. nur den satz: "in großunternehmen können sich viele mit dem abwürgen von projekten einen namen machen", mit dem er häufig in interviews zitiert wurde, schreibt man einem – nach der post-it-story in ihm gereiften – herzhaften zynismus zu.
daß sich das unternehmen, dessen herausragendste leistung darin bestand, spence silver nicht an seiner hartnäckigen kampagne für seinen stoff gehindert zu haben, den erfolg der post-it-blöcke im grunde ausschließlich sich selber zuschreibt, liegt an einem ganz anderen satz. für den wenn schon ein mitarbeiter, dann höchstens william l. mcknight seit 1914 lorbeeren aufs haupt gedrückt bekommen hat. er wird seither als begründer der 3m-tradition gefeiert. aber damals war seine bitte: "probieren sie das bitte aus, und sagen sie mir, was sie davon halten", eben noch ganz neu.
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