ruehm, rosei, u.a.:
ueber meisterklassen und akademien

andere texte


hintze:
- (begruesst die anwesenden)
- artmann musste in salzburg bleiben, bauer in der steiermark; beide unterstuetzen die idee, die sfd organisatorisch in eine akademie weiterzuentwickeln; beide sind bereit, als lehrer auch dann zur verfuegung zu stehen, wenn ein ganzjahresbetrieb eingerichtet wird;
- (schildert den werdegang des projekts von den ersten sappho-studien auf der insel lesbos, ueber das studium der kerouac school, bis hin zur gruendung der sfd und das internationale symposion "ueber die lehr- und lernbarkeit von literatur" im april 92; berichtet vom abschluss einer vereinbarung mit dem passagen verlag; gruendung einer edition schule fuer dichtung in wien; fordert die anwesenden auf, herausgeberschaften fuer buecher zu uebernehmen, die zum themenkomplex "literaturschule" gehoeren; die publikationsmoeglichkeit sollte genuetzt werden);
- wir sind rascher als erwartet, von der theorie zur praxis und von der praxis zu den konkreten organisationsfragen gelangt; es ist keineswegs zu frueh, bereits jetzt die organisation einer jahres-akademie zu besprechen
- zum historischen bogen: zitat nietzsche: "wer (...) sich ernstlich zum redner ausbilden wollte, oder wer in eine schule des schriftstellers zu gehen beabsichtigte, er faende nirgends meister und schule; man scheint hier noch nicht daran gedacht zu haben, dass reden und schreiben kuenste sind, die nicht ohne sorgsame anleitung und die muehevollsten lehrjahre erworben werden koennen."
- die bezeichnung "kuratorium" ist vorlaeufig; wir sollten auch darueber sprechen, in welcher beziehung dieses kuratorium zur sfd stehen soll.

rosei: die frage der lehr- und lernbarkeit von literatur kommt ja weltanschaulich von ganz wo anders herzukommen als wir. (lacht)

hintze: inwieweit laesst sich das, was sich nicht institutionalisieren laesst, doch institutionalisieren? widerspruch: literatur subversiv gegen institutionalisierung - institution einer akademie

ruehm: subversivitaet haengt nicht von der organisationsform ab, sondern von den lehrern.

hintze: rosei hat in seinem eroeffnungsreferat (april-akademie 93) eine zukuenftige akademie entworfen (der text wurde an alle teilnehmer verschickt).

ruehm: ich hab das einleitungsreferat vom rosei gelesen.

rosei: die frage ist: lasst man die sfd so wie sie ist und versucht dazu parallel ein zweites, von anfang an institutionalisiertes projekt?

ruehm: der lehrplan haengt wesentlich von den leuten ab, die man einlaedt, so wie an kunsthochschulen.

schmatz: das muss auch so beibehalten werden.

ruehm: in hamburg, wo ich ja unterrichte (kunsthochschule), gibt es 2 verpflichtende grundsemester. waehrend dieser einfuerhungs-orientierungssemester haben die studenten die moeglichkeit, sich die einzelnen klassen anzuschauen. die studenten sind danach aber nicht in eine bestimmte klasse foermlich eingeschrieben.

schmatz: das ist in der angewandten nicht der fall und das ist auch ein grosses problem.

ruehm: am schillerplatz auch nicht. die lehrer der einzelnen klassen sind dort ja boese, wenn ein student die lehrer wechselt. - man muss ueberlegen, inwieweit man die studenten auf nur einen lehrer festlegt.
- bei kurzfristigen kursen muss man die studenten festlegen, aber nicht bei laengerfristigen klassen.
- der nachteil des modells, bei dem ein student parallel mehrere lehrer hat, ist, dass manche studenten verunsichert werden, wenn ihnen jeder lehrer etwas anderes sagt.
- falls die sfd einen ganzjahresbetrieb plant, muesste man fragen: gibt es semester ?, wieviele semester wird es geben?

schmatz: das war ja auch die frage vom rosei. soll die sfd in eine akademie der dichtung gehoben werden?

hintze: wir haben die sfd zunaechst einmal als ein forum geschaffen, einen ort, an dem erfahrungen gesammelt, utopien entwickelt werden koennen: inhaltliche, formale, organisatorische. die kerouac school ist aehnlich vorgegangen: zuerst einmal pro jahr sommerakademien, dann ganzjahresbtrieb, schliesslich ordentliches universitaetsinstitut mit staatlicher anerkennung und foerderung.

neumann: akademie ist kein staatlich geschuetzter begriff.

ruehm: in hamburg im studienfach freie kunst gibt es zweierlei studenten: kunst-paedagogikstudenten und freie kunststudenten. fuer die kunststudenten gibt es drei noten: durchgefallen, durchgekommen, mit auszeichnung bestanden.
- die benotung ist auf druck der studenten eingefuehrt worden. die behoerde hat
daraufhin pruefungen verlangt. der student stellt arbeiten des letzten jahres aus und muss diese kommentieren. diese pruefungen werden von der behoerde anerkannt.

schmatz: ist das dem diplom gleichzustellen?

ruehm: ja.

schmatz: das ist mir fuer die sfd unvorstellbar.

ruehm: ich red ja nur von den freien kunststudenten.
- bei den kunst-paedagogikstudenten gibt es 2 richtungen. je nachdem, wo sie unterrichten wollen. die paedagogikstudenten muessen umfangreichere pruefungen ablegen.

hintze: koennen das so arbeiten sein, wie rosei sie in seinem text beschrieben hat?

ruehm: ja. im falle einer institutionalisierung besteht die chance, dass zukuenftige deutschlehrer bei uns studieren koennen.

rosei: der minister erwartet sich ja eine erweiterung in richtung journalismus, werbung, etc.

schmatz: das muss sich erst entwickeln.

rosei: in der derzeitigen phase bin ich fuer personenbezogenes. die jeweiligen lehrer entscheiden ueber die inhalte.

neumann: ich bin dagegen, an einer sfd jounalismus zu unterrichten. man muss doch der publizistik nicht auch noch etwas abnehmen.

rosei: wir konzentrieren uns auf das, was kunst bedeutet.

schmatz: unter schreibkunst faellt das eine wie das andere.

schuster: der minister redet so, weil er nicht noch mehr arbeitslose ausgebildet sehen moechte.

ruehm: keine kunsthochschule kann das.

schmatz: kommen wir auf den punkt zurueck: erweiterung oder nicht. es ist wichtig, satelliten zu setzen, aber der kern muss die dichtung sein.

ruehm: schreibkunst ist mir zu eng. ich finde nach wie vor den titel "schule fuer dichtung" sehr gut.

schmatz: ich bin nicht sehr gluecklich damit.

rosei: poesie, akademie der poesie.

ruehm: das ist nur ein fremdwort fuer dichtung.

hintze: zur weiteren entwicklung: da es keine gesetzliche grundlage fuer die gruendung von privaten universitaeten gibt, wird unser finanzpartner notgedrungen, und ideologisch auch besser vertretbar, die oeffentliche hand sein.
- 1995/96 waere ein datum, das wir im auge haben sollten. milleniumsfeiern bzw. 50 jahre nach 1945. die oeffentliche hand ist bereit, repraesentative projekte bzw. pionierprojekte grosszuegig zu foerdern. man sollte an "neue oesterreichische gruenderzeit" appellieren. wir koennten zweierlei erreichen:
- entweder die einrichtung und finanzierung eines ganzjahresbetriebs
- oder den ankauf/ die anmietung eines eigenen gebaeudes.
bis dahin sollten wir wissen, was wir wollen:
- variante 1: auf der basis eines unabhaengigen kuenstlerprojekts einen neuen typus von universitaet; zustaendig scholten
- variante 2: ordentliches universitaetsinstituts; zustaendig busek
- variante 3: mischform aus 1 und 2; zustaendig interministerielle kommission

schmatz: wir sollten die scholtenrichtung anstreben.

neumann: ich wuerde pragmatischer vorgehen. ich wuerde von dem ausgehen, was die sfd bisher schon erreicht hat und dazu einige linien aus dem programm der alten schmiede hineinverweben, die wiener vorlesungen. dazu einige faeden aus der arbeit von marianne gruber und der oesterreichischen gesellschaft fuer literatur.
ausserdem: was passt vom oberhuber dazu? man koennte mit einer art programmkoordination beginnen. ich habe einen gewissen ueberblick ueber 1994, daraus koennte man ein koordiniertes jahresprogramm erstellen.
mit diesem modell koennte man dann die verschiedenen minister ansprechen.

rosei: du brauchst auf jeden fall eine art fixes kollegium, das die leute einlaedt.

orator: so in etwa haben wir uns das auch vorgestellt. wir erstellen einen drei-jahres-plan mit stamm- und gastlehrern. ueber die zusammensetzungen entscheiden die programm-macher bzw. das kuratorium. dieser plan wird dem minister zur finanzierung vorgelegt. ich kann mir einen jahresbetrieb schon vorstellen, aber nicht dass wir die jetzigen bloecke einfach auf ein jahr ausdehnen. 2 mal 10 lehrer, dazu 1 mal 4 lehrer auf dem land. das ergaebe 24 klassen. wir muessten einen neuen ansatz finden.

ruehm: es ist eben ein unterschied, ob es sich um etwas kurzfristiges oder um etwas laengerfristiges handelt. kurze klassen wie jetzt haben andere inhalte und engere entwicklungsmoeglichkeiten als klassen, die sich ueber semester hinziehen.

prasser: fuer unsere entscheidung sollte nicht die beziehung zu dem jeweiligen minister ausschlaggebend sein, sondern die form des projektes selbst. ich bin fuer das modell des autonomen kuenstlerprojekts, einen neuen typ von universitaet.

schmatz: wie der kurt schon gesagt hat: wir sollten die erwaehnten schritte machen, zunaechst also in richtung scholten. wie es dann weiter geht, wird man ja sehen.

neumann: ich glaube, es wird letztlich eher die mischform werden.

rosei: die frage, wer fuer uns zustaendig ist, ist nicht so wichtig. die formen und inhalte unseres projekts werden dann schon die zustaendigkeiten zeigen.

schmatz: aber der hintze muss doch verhandeln mit dem zustaendigen. es muss einen zustaendigen minister geben. man kann nicht ohne konkreten finanzierungspartner arbeiten. wenn wir uns auf universitaeren boden begeben, uebernimmt die bezahlung der lehrer der bund. da entstehen abhaengigkeiten.

orator: es gibt pragmatisierte und gastprofessoren. fuer kunsthochschulen sind pragmatisierte das todesurteil.

ruehm: in hamburg gibt es gastprofessoren, beamtete professoren und lehrbeauftragte.

rosei: wir bleiben autonom und der bund gibt uns das geld. (lacht)

schmatz: genau das ist es.

gruber: wir diskutieren seit jahren ueber die abschaffung von noten und beamten. es waere nicht gut, wenn ausgerechnet wir jetzt wieder damit anfangen. wir sollten uns das gar nicht erst einfuehren. ich wuerde mich an keine der vorhandenen formen anlehnen. ich wuerde das neue versuchen.

schmatz: dann kommt vielleicht sowas wie bei der verlagsfoerderung, dass man jaehrlich neu ueber eine foerderung entscheidet. man muss das projekt gesetzlich absichern.

orator: es gibt jetzt seit kurzem dieses konzept der fachhochschulen. fachhochschulen muessen nicht staatlich betrieben werden. fachhochschulen koennen auch von vereinen gesmbh´s und dergleichen betrieben werden.

neumann: wer ist fuer fachhochschulen zustaendig?

orator: das wissenschaftsministerium.

ruehm: ich hab eine aversion gegen den begriff der fachhochschule.

schmatz: wer interessiert sich denn fuer die dichter? sicher nicht die wirtschaft.

hintze: oberhuber, als rektor der angewandten, hat sfd von anfang an unterstuetzt, weil er sich davon auch impulse erwartet hat. an den bestehenden kunsthochschulen passiert ja auch viel scheisse. kuenstlerprojekte oder auch projekte wie das literaturhaus muessen ihre budgets von jahr zu jahr neu einreichen. ein langfristig gesichertes budget haben eigentlich nur die salzburger festspiele. ich habe dem scholten versucht zu erklaeren, dass eine schule fuer dichtung, egal in welcher organisationsform, auf die dauer natuerlich nicht von jahr zu jahr arbeiten kann. der gedanke einer literaturakademie ist neu, also sollten sich die finanziers auch neue modelle ueberlegen, oder zumindest gespraechsbereit dafuer sein. ich habe ihm erklaert, dass wir mindestens drei-jahres-vertraege machen koennen sollten. scholten waere bereit, sich fuer eine drei-jahres-finanzierung einzusetzen.

neumann: dann sind wir wieder bei den beruehmten fuenf-jahres-plaenen.

gruber: lieber ein risiko eingehen, als unter fremde fluegel schlupfen. wichtiger waere es, ein netz aufzubauen. ein netz von arbeits-, kommunikations- und publikationsmoeglichkeiten. eine zusicherung fuer die publizierung von studententexten in diversen literaturzeitschriften waere denkbar: lichtungen, manuskripte, protokolle, limes, etc.

orator: die erstellung eines lehrplans waere wichtig; die einrichtung von basissemestern.

schmatz:aber eine einfuehrung zum beispiel in die verslehre ist langweilig.

prasser: bei unseren lehrerkonferenzen haben sich einige ueber die unkenntnis ihrer studenten beschwert und etwas wie einen grundkurs gefordet.

schmatz: und wer unterrichtet das?

orator: man koennte soetwas im grundsemester unterrichten

gruber: ich wuerde unter grundsemester etwas anderes verstehen. bei der juli-akademie sind mir 2/3 der teilnehmer bereits bekannt. ich kann nicht nocheinmal das selbe erzaehlen wie bei der september-akademie. nur wer bereits im 1. kurs war, sollte den 2. besuchen duerfen.

schmatz: was aber heisst, das der ruehm 2 kurse machen sollte.

orator: es sollten immer wieder einfuehrungskurse der jeweiligen lehrer stattfinden. einfuehrungsklassen, bei denen sich gewisse grundinformationen wiederholen.

schuster: das waere im ganzjahresbetrieb moeglich. in anderen literaturschulen wird das tatsaechlich so gehandhabt. gorki-institut, johannes r. becher institut.

ruehm: es ist wichtig, wer diese einfuehrungen macht, ob das der reich-ranicki oder unsereiner macht.

neumann: das kollegium legt fest, was man als grundlage braucht.

ruehm: das ist aber schon wieder schwierig zu sagen.

gruber: eine leseliste der wichtigsten autoren.

ruehm: wer bestimmt die? zuviele namen verwirren auch nur.

schmatz: man sollte ein aufnahmegespraech fuehren.

ruehm: das ist viel zu kompliziert.

hintze: wir sollten uns bemuehen, die diversitaet, die pluralitaet zu organisieren. wenn der lehrer a aufnahmegespraeche haben will und einen grundkurs, dann organisieren wir das eben. wenn der lehrer b das anders haben will, dann organisieren wir das auch.
moeglichst wenig ueber einen leisten scheren, waere wichtig.

schmatz: was macht man mit denen, die uebrig bleiben?

ruehm: 3 professoren, 3 assistenten, 3 studenten bilden ein gremium, welches entscheidet, wer aufgenommen wird, wobei die studenten nur beratende stimme haben.

orator: die leute bekommen depressionen wegen dieser auswahlkriterien.

rosei: pro semester haelt jeder lehrer eine vorlesung zum thema seiner wahl.

ruehm: ich mache ja viele sachen in hamburg, die ich nicht machen muesste, die nicht im lehrplan vorgesehen sind. es kommt auf die leute in meiner klasse und die jeweiligen interessenschwerpunkte an. so habe ich z. b. 2 semester kein aktzeichnen unterrichtet, jetzt gibt es wieder aktzeichnen.

orator: was sind die fixpunkte?

ruehm: ich leite eine klasse fuer freie grafik und kuenstlerische grenzbereiche. bei einem dreiwoechigen kurs sollte man nur ein thema angehen. je kuerzer die veranstaltung (kurszeit), umso genauer sollte man das thema festlegen. je laenger, umso weniger genau muss man sich festlegen.

gruber: ein teil derer, die sich fuer meine juli-klasse angemeldet hat, hat sich extra fuer diese 2 wochen zeit genommen. ich weiss nicht, ob die auch kommen wuerden, wenn sie ein ganzes jahr bleiben muessten.

ruehm: das betrifft aber auch die lehrenden. ein gastprofessor kommt waehrend des gastsemesters oft nur 2 mal fuer eine knappe woche.

schmatz: gastvortraege sind ganz wichtig.

hintze: es ist ja auch die frage: sind die momente der inspiration eher in kurzen oder in langandauernden, sich wiederholenden begegnungen moeglich?

rosei: aufbauen ist ein schlechter begriff. aufbauende klassen sind nichts fuer dichter.

orator: ich meine damit fortfuehrend.

hintze: wenn wir nun versuchen, eine drei-jahres-finanzierung zu erreichen: wie sieht das konkret fuer euch aus? (zu ruehm) haettest du in den kommenden drei jahren ueberhaupt zeit?

ruehm: ab 96 schaut das gut aus, bis dahin schaut's schlecht aus.

hintze: 2 mal pro jahr fuer je eine woche?

ruehm: im mai und oktober/november haben wir pruefungen. im september bin ich auf urlaub. der april waere ein guter monat.

hintze: wir planen ja auch einige sozusagen dislozierte projekte: in neuberg / muerzzuschlag mit der walter buchebner gesellschaft; in alma ata mit der dortigen fremdsprachen-universitaet.

ruehm: da muessen wir etwas ueber trotzki machen.

hintze: wer sollte eurer meinung nach dem kuratorium angehoeren? fuers erste, habe ich gedacht, sollten nur dichter und dichterinnen dabeisein. eben so wie heute. fuer spaeter sollten wir weitere taktische ueberlegungen beruecksichtigen.

schmatz: ich wuerde das relativ locker halten, wir nehmen jemanden dazu und lassen ihn auch wieder weg.

rosei: ich wuerde niemanden reinnehmen, den wir nicht reinnehmen muessen. aber ich hatte von anfang an den ernst jandl im vorschlag drin

hintze: oberhuber? er ist immerhin unser gastgeber und versteht, als praktiker, einiges von den zusammenhaengen kuenstlerindividuum - kuenstlerakademie.

schmatz: bringt das was?

hintze: mayroecker und jandl? ich moechte unbedingt, dass wir uns gemeinsam entschliessen, sie einzuladen.

schmatz: wenn man die beiden einbezieht, muesste man es gesellschaft fuer dichtung nennen.

hintze: eine gewisse zurueckhaltung unserem projekt gegenueber ist sicherlich festzustellen.

neumann: das hat damit zu tun, dass jandl an einem konkurrierenden projekt arbeitet. er moechte ja die friedgesellschaft zu einer akademie machen.1 es muesste klare zielvorstellungen der sfd geben. weniger im name-dropping als im inhaltlichen.

schmatz: man muss sich nicht auf grosse namen stuetzen.

neumann: die initiative geht von der sfd aus. danach wird ein kuratorium eingesetzt, ein kleiner kreis, der fest von der sache ueberzeugt ist. sonst ist beides von vornherein zerfasert.

hintze: was beides?

neumann: personelle auffettung und inhalt.

gruber: wir diskutieren zwei wege: die verkaufsstrategie und den inhalt. diese beiden muessen sich nicht gleichen.

neumann: entweder wir kuemmern uns zuerst um den inhalt und vergroessern danach das

kuratorium, oder umgekehrt.

hintze: es waere jedenfalls schade, wenn in wien zwei konkurrenzprojekte existieren. hunderte jahre war nichts. und jetzt ploetzlich an einem ort zwei. die besten kraefte sollten zusammenarbeiten. ich glaube, dass uns das gelingen koennte.

schmatz: das ist illusion.

neumann: jeder hat berechtigte vorstellungen. die auf eine basis zu bringen ist unmoeglich.

hintze: vielleicht bin ich zu jung, um das beurteilen zu koennen, aber mir kommt vor, dass sich da gewisse muster aus den 50-er jahren wiederholen. ich moechte nicht, dass sich fuer jandl das trauma "wiener gruppe" wiederholt. hier artmann und ruehm - und er ist wieder draussen.

ruehm: ich schaetze seine arbeit sehr und betrachte mich als guten alten freund, aber ich halte manche leute, die er schaetzt und hofiert fuer arschloecher.
- dass die gav zu einer literaturschwemme geworden ist, geht nicht zuletzt auf ernst jandl zurueck. ich war immer dagegen, dass man zu viele leute aufnimmt und das ist leider die politik von ernst jandl, weil er glaubt, dass man mit mehr mitgliedern auch mehr durchsetzen kann.
- er sagt und macht viel gutes, er setzt sich auch fuer leute ein, die unbeliebt sind. das schaetze ich sehr an ihm, aber seine populistische seite mag ich sehr viel weniger.

gruber: die wiener gruppe hat nach aussen hin einen koerper dargestellt, den man nicht nachahmen kann und an den man auch nicht herankommt.

ruehm: wir waren sehr isoliert.

hintze: ich hatte ja lange zeit die vorstellung, man koennte in der gav etwas machen. aber nur, wenn man einen radikalen neubeginn wagt. nachdem 1989 mein selbstaufloesungantrag niedergestimmt worden war, war fuer mich klar: es geht tatsaechlich nur in einer kleinen gruppe. bei der entwicklung einer literaturakademie aber kommt ein gewisses technisch-politisches moment hinzu. das projekt sfd konnte nur deshalb so erfolgreich beginnen, weil wir, bevor wir an die oeffentlichkeit gegangen sind, monatelang politische kleinarbeit geleistet haben: gespraeche, briefe, verhandlungen mit den repraesentanten aller literarisch und literarisch-organisatorisch relevanten stroemungen. darum werden wir auch in zukunft nicht herumkommen.


(alle anwesenden sprechen sich dafuer aus, bei jandl und mayroecker vorzufuehlen und sie zu einer kuratoriumssitzung einzuladen.)

orator: die impulse kommen vom kuratorium. die knochenarbeit macht das team der sfd.

hintze: da wir hier arbeit leisten, schlage ich vor, dass den kuratoriumsmitgliedern in zukunft sitzungsgeld und reisekosten bezahlt werden.

rosei: nicht zu hoch, bitte. (lacht)

schmatz: ich brauche fuer die sitzung kein geld. es sollten eher die honorare bei den akademien hoeher sein. wenn es zu richtigen arbeitssitzungen kommt, koennte man geld verlangen.

rosei: wenn der arbeitsaufwand steigt und ich einen lehrplan erarbeiten sollte, dann vielleicht.

schmatz: der kleine kreis ist produktiver. in der weiteren entwicklung sollten aber schon gaeste hinzu kommen.

gruber: das arbeitsklima muss gut sein, man darf nicht erst ueberlegen, kann ich das jetzt in diesem kreis sagen, oder nicht.

neumann (zu hintze): ich verstehe dein anliegen mit dem ernst. du solltest dich mal mit ihm zusammensetzen.

gruber: der ernst jandl will die fried-gesellschaft zu einer akademie machen. das heisst also, wir muessen geschwind sein.

neumann: nein, das nicht. wir muessen konsequent sein.

_________________________________________________________________________

um ca. 17 uhr: gruppenfoto; danach verlassen ferdinand schmatz und kurt neumann die runde.
_________________________________________________________________________

ruehm: bevor wir alle auseinandergehen: machen wir doch naegel mit koepfen:

- bleiben wir weiterhin an einem provisorischen platz, oder gibt es einen festen
ort?

hintze: der 95/96er termin bietet eine reelle chance fuer ein eigenes haus.

- im gespraech: uebersiedlung in den messepalast, ins museumsquartier. scholten
ist dafuer, busek wehrt sich noch.

- das areal rund um den kursalon waere natuerlich ideal: im gruenen gelegen, an
einem fluss, dennoch mitten in der stadt; das ganze ist im eigentum der gemeinde,
huebner ist paechter; man muesste herausfinden, wie die vertragssituation ist.

orator: unger ist bereit, der minister ist bereit; wir muessen nur konkrete
vorschlaege bringen.

ruehm: das haus sollte auf alle faelle im zentrum gelegen sein oder am ring.

rosei: eine erlebbare raumabfolge waere guenstig. der huebner ist zu gross.

ruehm: der messepalast waere sehr gut. da sind die museen, die bildende kunst. fuer
interdisziplinaeres arbeiten waere das von vorteil.

rosei: was ist mit dem alten akh?

prasser: dort sollen institute der hauptuni hineinkommen.

rosei: man koennte es dort versuchen.

ruehm: man muss schlafraeume fuer leute aus dem ausland vorsehen.

hintze: so wie in unserem ersten konzept, wo wir von einem welcome center for
traveling poets.gesprochen haben?

ruehm: man muss raeume fuer die gatsprofessoren haben.

hintze: wenn es zu konkreten verhandlungen kommt: koenntest du dich da beteiligen? zum minister mitgehen? zur stadtraetin mitgehen?

ruehm: wenn ich da bin, natuerlich.

hintze: wie schaut die unterrichtsorganisation aus?

ruehm: darueber soll jeder lehrer selber entscheiden.

hintze: geben wir den studenten scheine?

rosei: ja natuerlich, besuchsbescheinigungen. aber keine zeugnisse. ich bin gegen
zeugnisse.

hintze: ginka steinwachs ist fuer teilnahmebescheinigungen. und sie hat letzthin bei
der april-akademie schon welche ausgegeben.

ruehm: wie in salzburg bei der sommerakademie. man bestaetigt die teilnahme und
schreibt ein paar zeilen ueber den studenten.

orator: das ist fuer den studenten auch eine referenz.

ruehm: dieser schein muesste einheitlich sein und vorgedruckt.

rosei: grundsaetzlich haben wir heute zwei dinge entschieden:
1. die entwicklung der sfd zu einer akademie.
2. die personenbezogenheit
die anderen punkte, z.b. die besprechung des lehrplans, verschieben wir auf die naechste sitzung.

hintze: wie sinnvoll ist es, lehrstuehle einzufuehren? einen lehrstuhl fuer prosa, einen fuer lyrik, einen fuer performance, einen fuer drama?

ruehm: davon halte ich nichts.

rosei: ich auch nicht, da sind wir uns einig.

hintze: die literatur war ja lange zeit stimulans fuer die entwicklung von nationalsprachen, von nationaler identitaet. man koennte daher auch sagen, eine literatur-akademie sollte, wie in leipzig zum beispiel eine akademie ausschliesslich der deutschen sprache sein. vor dem aktuellen politischen hintergrund, gerade europas, aber denke ich, dass wir so, wie wir begonnen haben, auch weiterarbeiten sollten: mehrsprachig, mehrere kulturen beruecksichtigend.

ruehm: ja, da bin ich dafuer.

hintze: und dass wir eine inger christensen, einen jack collom, einen allen ginsberg, eine anne waldman in eines unserer gremien holen?

ruehm: das ist schwierig, wird nicht praktikabel sein.

ruehm: nun zur rechtschreibung. ich wuerde nicht mitmachen, wenn bei euren publikationen weiterhin dieses grauenhafte grossgeschriebene i vorkommt. "studentinnen, lehrerinnen". das ist eine verhunzung der deutschen sprache und ueberdies wie es gemeint ist nicht sprechbar. ich bin ja sowieso ein vertreter der konsequenten kleinschreibung. ich bin fuer studenten/studentinnen. deutsch ist die einzige sprache der welt mit grossbuchstaben bei hauptwoertern.

orator: wir koennen die kleinschreibung ja fuers programmheft uebernehmen.

hintze: (zu ruehm) schreibst du uns ein pamphlet dafuer?

ruehm: ich bin ueberzeugt, dass irgendwann die kleinschreibung kommt. trotzdem muss man wissen, was traditionell grossgeschrieben wuerde. die grossbuchstaben sind fremdkoerper und erst seit etwa dem 18. jahrhundert geregelt in gebrauch.

ende der sitzung: ca. 18 uhr.
naechste sitzung: nach der frankfurter buchmesse, um den 11. oktober.